top of page
Naturästhetische Skizzen

Natur als Resonanzsphäre

  • florianmatzke
  • 25. Juli 2022
  • 5 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 9. Feb. 2024

Natur als Resonanzsphäre ist, so der Soziologe Hartmut Rosa, "eine moderne Erfindung" bzw. "Kulturleistung". Sie konnte sich vermutlich erst vollziehen, nachdem sich der moderne Mensch von den Naturrythmen emanzipiert hat.

Dass Natur als antwortendes Gegenüber konzipiert wird, setzt voraus, 1.) "dass Mensch und Natur als geschlossene, jeweils ihre eigene Sprache sprechende und deshalb auch sich potentiell widersprechende Entitäten wahrgenommen werden können" und 2.), dass "Menschen Natur auch in einem, Modus der stummen, verdinglichenden Beziehung instrumentell bearbeiten, behandeln und erfahren können."

Hartmut Rosa ist der Auffassung, dass infolge der Emanzipation, die Natur "zu einer - oder vielleicht sogar zu der - zentralen Resonanzsphäre der Moderne" geworden ist.


Antwortbeziehungen zur Natur erfahren wir beispielsweise am Meer oder im Gebirge.

Paradigmatisch erfahren moderne Subjekte die Antwortbeziehung mit der Natur beispielsweise im Hochgebirge, etwa auf einem Berggipfel oder überall dort, wo ein Berg, der sich in Nebel verhüllen, mit Steinschlag und Lawinen, Schneestürmen oder gleißendem Sonnenlicht >antworten< kann, als lebendiges Gegenüber wahrgenommen wird; aber ebenso auch am Ufer des Ozeans, wo die heranrollenden Wellen des Meeres wie das Atmen der Welt erscheinen können.

Alljährlich folgen Millionen von Menschen dem Ruf der Berge. Darin komme die Sehnsucht zum Ausdruck, auf andere Weise mit der Welt in Beziehung zu stehen. Einmal raus aus dem Verdinglichungsmodus kommen. Das In-den-Bergen-sein stellt einen Gegenpol des Alltags- und Großstadtlebens dar. Es ermöglicht eine andere Art des In-die-Welt-gestellt-seins, eine andere Art der Weltbeziehung. Es erfüllt unser Resonanzbedürfnis. Sich überwältigen lassen, sich berühren lassen von einem Anderen, das mit eigener Stimme spricht.

In der Alltagswelt hätten wir nicht diese Art der Beziehung. Hier seien wir meistens auf Effizienz getrimmt und ständig auf Zwecke/Ziele ausgerichtet, stünden permanent unter Optimierungszwang und strebten danach, die Welt erreichbar und verfügbar zu machen.

Für spätmoderne Subjekte sei die Welt "schlechterdings zum Agressionspunkt geworden". Alles muss gewusst, beherrscht, erreichbar, sichtbar, nutzbar, ja verfügbar gemacht werden. Die Moderne, dessen Bestreben es ist, die Welt "mit immer größerer Reichweite verfügbar zu machen", laufe dabei Gefahr, dass die Welt zunehmend verstummt und uns nichts mehr zu sagen hat. Resonanzerfahrungen aber entstünden erst aus der Begegnung mit dem Unverfügbaren.


Natürlich nehmen viele Bergsteiger und Wanderer diese Haltung auch mit in die Berge: Schneller, höher, weiter. Gipfel bezwingen. Wanderrouten in einer vorgegebenen Zeit meistern. Doch selbst erfahrene Bergsteiger und Bergwanderer können die Situation niemals vollständig kontrollieren und beherrschen. Es gibt so viele unvorhergesehene Unwägbarkeiten. Das Wetter kann umschlagen, ein Weg kann versperrt sein, unsere Ausrüstung kaputt gehen.


Mit den Bergen in ein Resonanzverhältnis zu treten, hat, und das ist entscheidend, nichts mit sentimentalischer Rührung zu tun. Einmal kurz mit der Seilbahn auf einen Gipfel fahren, ein Foto von der Aussicht machen, etwas essen und dann wieder runterfahren. In diesen kurzen Momenten, findet keine "leibliche Wechselwirkung" statt. Die Bergwelt wird zur romantischen Kulisse reduziert, die ich kurz betrachte, die aber nichts mit mir macht.


In ein Resonanzverhältnis mit den Bergen zu treten, bedeutet hingegen, sich einerseits vom unverfügbar Anderen affiziieren bzw. berühren zu lassen und andererseits, darauf zu antworten. Solche Berührung lässt sich bspw. daran erkennen, dass unsere Augen zu leuchten beginnen, sich unsere Atmung oder Körperhaltung ändert. "Sie zeigen an, dass der Panzer der Verdinglichung, mit dem wir in einer auf Steigerung und Optimierung, auf Berechnen und Beherrschen ausgerichteten Welt in der Regel operieren, für einen Moment durchbrochen ist und wir den Aggressionsmodus verlassen haben." Von Resonanz lasse sich aber erst da sprechen, "wenn auf diese Berührung [...] eine eigene, aktive Antwort erfolgt". Hartmut Rosa bezeichnet diesen Moment als Selbstwirksamkeit. Das erhabene Schauspiel der Bergwelt um uns herum, kann uns dazu aufrufen, ein Gedicht darüber zu schreiben oder dort wandern zu gehen; ein philosophisches Buch, welches wir lesen, kann uns dazu bewegen, dieses auch zu verarbeiten usw.


Ein drittes Moment, welches konstitutiv für Resonanz ist, ist das Moment der Anverwandlung. "Wann immer wir in Resonanz zu einem Menschen, einem Buch, einer Musik, einer Landschaft, einer Idee, einem Stück Holz treten, transformieren wir uns in der und durch die Begegnung ..."Wir bleiben nicht dieselben. Und auch die Gegenstände verändern sich für uns durch die Resonanzerfahrung. "Der Berg, auf den ich gestiegen bin, ist (für mich) ein anderer als der, den ich nur aus weiter Ferne sah oder aus dem Fernsehen kannte".

Eindrucksvoll vor Augen führt uns diesen Gedanken Reinhold Messner in der Dokumentation "Gasherbrum - Der leuchtende Berg" (1985) von Werner Herzog: "Ich selbst hab ab und zu das Gefühl, dass ich an diesen Wänden, diesen drei-, viertausend Meter großen Wänden, zeichnen kann. So wie die Lehrerin an der Schultafel mit der Kreide zeichnet und schreibt, schreib ich an diesen großen Wänden. Und zwar nicht nur Linien, gedachte Linien; ich lebe diese Linien. Ich hab auch das Gefühl, dass nachher diese Linien da sind. Auch wenn ich allein sie sehen kann, weil ich sie gelebt und durchlebt habe und die anderen sie nie sehen werden können: Sie sind da und bleiben. Sie bleiben für alle Zeiten."


Die Etablierung von Resonanzbeziehungen scheitere jedoch "häufig an dem Versuch, Natur verfügbar zu machen und Resonanz zu kommodifizieren". Naturbegegnungen in "zeitlich und räumlich standardisierte und kommodifizierte Resonanzoasen" zu verbannen, führt nicht selten dazu, dass die Natur ihre Antwortfähigkeit verliert und wir enttäuscht werden. Diese institutionalisierte Form der Naturbegegnungen stellt daher eine "problematische Form spätmoderner Resonanzpraxis" dar.


Ebenso problematisch sei, dass Natur oftmals nur "in den außeralltäglichen Momenten des Lebens, nach Feierabend, am Sonntag oder in den Ferien" aufgesucht werde und dabei ein naturästhetisch-rezeptiver oder romantisch-kontemplativer Wahrnehmungsmodus" dominiere. "Im Wald, auf dem Berggipfel oder am Ozean machen Menschen in der Regel keine Selbstwirksamkeitserfahrungen in einer tätigen Arbeits- oder Antwortsbeziehung zur Natur, sondern sie erleben romantisierte und idealisierte Momente des passiven, pathischen Berührtwerdens."Die Resonanzbeziehung bleibe dann "einseitig oder halbiert". Die Gebirgsnatur nur "als erhabenes Schauspiel" zu genießen, bedeutet nicht, dass diese auch "tätig anverwandelt" wird. Diese führe nicht selten dazu, "dass Selbstwirksamkeit auch und gerade in Naturräumen in der stummen Form der Selbst- und Naturbeherrschung gesucht" werde.


"Berge bezwingen, Meere durchschwimmen, Wüsten durchqueren (...) sind Aktivitätsformen, die ihrer Logik nach nicht auf Resonanz, sondern auf Kontrolle zielen und dabei den instrumentellen, verdinglichenden Beziehungsmodus des wissenschaftlich-technisch-ökonomischen Naturverhältnisses replizieren."

Hartmut Rosa wendet sich entschieden gegen die "romantisierende bürgerliche Naturästhetik", die zum einen nur die außeralltägliche Form der Naturbegegnung umfasst und zum anderen "die kontemplative, pathische Seite der Resonanzbeziheung gegenüber der intentionalen überbetont". Natur werde dadurchn"zu dem, was spätmoderne Menschen am Sonntag im Wald oder in den Ferien am Meer >konsumieren<."


Ich glaube nicht, dass hier ein notwendiger Zusammenhang zwischen einer angeblichen Dominanz der naturästhetischen Kontemplation und dem "Umschlagen in einen stummen Beherrschungsmodus" liegt. Vielmehr denke ich, dass die Dominanz des verfügbarmachenden, verdinglichenden Naturverhältnisses in der Moderne dazu führt, dass das kontemplative In-der-Natur-sein unterbetont bleibt, ja wir sogar die Fähigkeit der Resonanzsensibilität verlieren.

Die naturästhetische Kontemplation ist außerdem eine Praxis, die nichts mit Konsum oder Ähnlichem zu tun hat. Dass spätmoderne Subjekte die Natur nur noch in außeralltäglichen Momenten konsumieren, bringt eher die Haltung zum Ausdruck, sentimentalisch gerührt werden zu wollen. Natur verflacht dann zur romantischen Kulisse, wohingegen wir unverändert bleiben.

Die naturästhetische Kontemplation hingegen, die auch Platz im Alltag finden kann, führt zu einer tiefen Begegnung mit der Natur und kann auch eine aktive Anverwandlung der Natur bewirken. Man denke bspw. an das Nature writing.

Es stimmt also nicht, dass die "ästhetisch-kontemplative Rezeption und die aktivisch-produktivistische Bearbeitung, Berechnung und Vernutzung der Natur ... weiterhin unvermittelt und unvereinbar nebeneinander bestehen bleiben". Ganz im Gegenteil kann das kontemplative In-der-Natur-sein eine Ehrfurcht vor der Natur hervorrufen, die dem Bestreben, die Natur verfügbar zu machen, diametral entgegen steht.


Quellen:

  • Hartmut Rosa: Resonanz. Eine Soziologie der Weltbeziehung, Berlin 2016, insbesondere das Kapitel "Die Stimme der Natur", S. 453-472.

  • Hartmut Rosa: Unverfügbarkeit, Wien/Salzburg 2018.

  • Hartmut Rosa: Der Ruf der Berge – Vortrag anlässlich des 150 jährigen Bestehens des Deutschen Alpenvereins.





Comments


Bleib auf dem Laufenden.

© 2023 by F.M. Proudly created with Wix.com

bottom of page