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Naturästhetische Skizzen

Die Erhabenheit der Berge

  • florianmatzke
  • 27. Apr.
  • 5 Min. Lesezeit

Der irische Philosoph Edmund Burke hat den Grundstein für die moderne Naturästhetik gelegt, insbesondere durch seine wegweisende Abhandlung "A Philosophical Enquiry into the Origin of our Ideas of the Sublime and Beautiful" (1757). Hierin setzt er sich explizit mit der Erhabenheit der Natur auseinander, einem heutzutage eher verstaubten Begriff. Im folgenden Text möchte ich den Begriff reaktualisieren und am Beispiel der Berge neu interpretieren. Dazu werde ich seine Überlegungen zur Erhabenheit kritisch unter die Lupe nehmen.


Wie ist der seelische/psychische Zustand beschaffen, den erhabene Objekte hervorrufen?


Erhaben sind laut Burke solche Dinge, die einen starken Eindruck auf das Gemüt machen. Der Zustand, der vom Erhabenen in der Natur am stärksten hervorgerufen werde, heiße Erschauern. Erschauern ist derjenige Zustand, in dem das Gemüt ausschließlich von einem Objekt erfüllt sei und in dem ein gewisser Grad von Schrecken bestehe. Der Schrecken sei das beherrschende Prinzip des Erhabenen. Diese Leidenschaft beraube das Gemüt aller seiner Kraft zu handeln und zu räsonieren. Als Beispiel für ein Objekt eines starken Schreckens nennt Burke den Ozean. Insbesondere, der durch "Stürme empörte Ozean", dem wir ausgeliefert sind, bewirkt, dass wir uns vor dem Tod ängstigen. Wenn der Schrecken nicht allzu groß ist, also in gemäßigter Form auftritt, in dem er nicht allzu nahe auf uns eindringt, dann vermischt sich mit der Furcht, die Bewunderung. Burke bezieht sich hier auf das griechische Wort thambos, was zugleich Furcht/Entsetzen und Bewunderung bzw. Staunen bedeute. Der Anblick eines ruhigen Ozeans etwa, rufe zugleich Erschauern und Bewunderung hervor. 


Kritisiert wurde an dieser Überlegung, die "einseitige Fixierung eines bestimmten Typus des Erhabenen", nämlich des "Furchtbar-Erhabenen". Neben diesem Typus gebe es auch das "Feierlich-Erhabene".


Wie sind erhabene Dinge beschaffen?

Burke stellt verschiedene Eigenschaften zusammen, die für erhaben gehaltene Objekte charakteristisch sind. Allen voran nennt er die Dunkelheit: "Um irgendeine Sache sehr schrecklich zu machen, scheint im allgemeinen Dunkelheit notwendig zu sein." Die Dunkelheit, und damit ist vor allem die Nacht gemeint, ist ein Phänomen, welches Furcht erzeugt. So schaudert es uns, in der Nacht allein in einem Wald zu sein. Unsere Augen können nichts oder nur undeutliche Dinge erkennnen, wir hören Geräusche, die wir nicht zuordnen können, wir sind dem Unheimlichen ausgeliefert.

Wie ist es nun aber mit der Dunkelheit bezogen auf die Berge beschaffen?

Ein Bergmassiv, das in dichten Nebel gehüllt oder von der nächtlichen Dunkelheit umgeben ist, verliert seine klare Kontur. Seine Ausmaße und Konturen werden unklar, ungreifbar, und genau darin liegt für Burke das Erhabene: In dem, was nicht vollständig erkannt, was nicht klar und deutlich wahrgenommen oder durchdrungen werden kann. Wenn wir Berge nicht ganz sehen – weil sie im Schatten liegen, in Wolken verschwinden oder in der Nacht verschwimmen – muss unsere Vorstellungs- und Einbildungskraft einspringen. Und genau das erzeugt bei Burke den Effekt des Erhabenen: Die Dunkelheit lässt das Objekt furchtbarer und mächtiger erscheinen, als es vielleicht wirklich ist.

Besonders bedrohlich wirken Berge bei einem Gewitter. Plötzlich aufziehende Gewitterwolken, stark aufwehender Wind, mit einem plötzlich eintretenden starken Regenfall und ohrenbetäubendem Donner und grellen Blitzen, wirken extrem bedrohlich, insofern man diesen Naturgewalten schutzlos ausgeliefert ist. Befindet man sich hingegen in Sicherheit, ruft dieses Naturspektakel zugleich Bewunderung und Erschütterung hervor.

Berge selbst sind nicht dunkel. Die Dunkelheit ist etwas, dass sich um die Berge legt, sie einhüllt. Und insofern ist die Erhabenheit der Berge eher indirekt mit Dunkelheit verknüft. Auch ohne die Dunkelheit wirken Berge erhaben.


Als weitere Hauptquelle des Erhabenen nennt Burke die Macht. Mächtig sei etwas, dass uns Leid, Schmerz oder Tod zufügen könnte. Dass also nicht nur kräftig, gewaltig und stark, sondern auch zerstörerisch ist. Wenn dem Objekt keine Spur der Nützlichkeit anhaftet, unserem Willen gemäß wirkt oder Vergnügen bereitet. Sondern, wenn das Objekt mit dem Schrecklichen und Verderblichen in Verbindung stehe und wir vor seiner Überlegenheit "zur Winzigkeit unserer eigenen Natur" zusammenschrumpfen.

Im Sinne von Edmund Burkes Vorstellung des Erhabenen lassen sich auch Berge als mächtige Objekte interpretieren. Ihre gewaltige Größe, Unbezwingbarkeit und oft auch bedrohliche Präsenz – etwa in Form von Steinschlag, Lawinen oder unberechenbarem Wetter – stellen eine reale Gefahr für den Menschen dar. Genau diese Eigenschaft macht sie im burkeschen Sinne "erhaben". Sie sind nicht nützlich im direkten Sinne, sie gehorchen nicht unserem Willen, sondern stehen über uns – fremd, unnahbar, groß. In ihrer erdrückenden Monumentalität lassen sie uns die eigene Kleinheit und Ohnmächtigkeit spüren. Dass allerdings das Mächtige nur dadurch erhaben wirkt, wenn es Schrecken mit sich führe und nicht auch Vergnügen, ist nicht nachvollziehbar. Es gibt viele Bergsteiger, die angesichts der Gefahren, die von den Bergen ausgehen, auch eine große Anziehungskraft und Lust verspüren.


Als weitere Quellen des Erhabenen werden "Leere, Finsternis, Einsamkeit, Schweigen" angeführt. Treten diese Dinge gehäuft und vereint auf, Burke bezieht sich hier auf Verse von Vergil, würden wir von einem furchtbaren Schrecken ergriffen werden. Leider bricht Burke seine Überlegungen an dieser Stelle auch schon ab. Wir werden daher auf eine Überlegung Schopenhauers zurückkommen.

Laut Schopenhauer rufen Gegenden, in denen völliges Schweigen, Leere und Einsamkeit sich sammelt, wie etwa in den höchsten Höhen der Berge, Beängstigung und Furcht hervor. Nur wenige Menschen wären an solchen Orten, in solcher Umgebung fähig, sich der reinen Kontemplation hinzugeben: "eine weit und breit unabsehbare Gegend, ganz unbeschränkten Horizont, und nun dabei die völligste Einsamkeit, und tiefes Schweigen der ganzen Natur, blauen Wolkenlosen Himmel, [...] keine Menschen, keine Thiere, keine bewegte Gewässer, die tiefste Stille überall ... dem der willensfreien Betrachtung Fähigen, ist die geschilderte Umgebung wie ein Aufruf zum Ernst, zur Kontemplation, mit Loßreißung von allem Wollen und dessen Dürftigkeit". Laut Schopenhauer tritt des Gefühl des Erhabenen aber nicht dadurch hervor, wenn der Schrecken, die Furcht oder die persönliche Bedrängns an diesen Orten die Oberhand gewinnt, sondern wenn wir unerschüttert und ruhig in den Zustand der reinen Kontemplation eintreten.


Auch die Riesigkeit bildet bei Burke eine mächtige Quelle des Erhabenen. Damit ist die Riesigkeit der Ausdehnung in Länge, Höhe und Tiefe gemeint. Dabei sei die Höhe eines Berges beeindruckender als die Länge eines Objekts, und die Tiefe eines Abgrundes, in die wir hinabblicken, wirke mehr erhaben als die Höhe, zu der wir hinaufsehen. Doch nicht nur die "äußerte Größe der Dimension", auch die "alleräußerte Kleinheit", sei auf gleicherweise erhaben. Denn je größer oder kleiner etwas werde, desto mehr versage unsere Sinnlichkeit und Einbildungskraft. Wir können es nicht mehr greifen oder begreifen. Wir geraten an die Grenzen unserer Verstandesleistung, unserer Vorstellungskraft und unseres Wissens. Und so versetzen uns die "Wunder der Winzigkeit" und Riesigkeit in Erstaunen. Diese Dinge der Natur erscheinen uns als erhaben, weil sie unsere begrenzte Erkenntnisfähigkeit übersteigen.Sie entziehen sich unserem vollständigen Verstehen, wodurch wir in eine Haltung der Ehrfurcht und des Staunens versetzt werden. Die Erhabenheit der Natur offenbart sich also dort, wo unser Verstand an seine Grenzen stößt – im Anblick der Sterne und der Berge, im Geheimnis des Lebens.

Bezogen auf die Berge lässt sich dieser Gedanken wie folgt konkretisieren. Berge sind überaus riesige Werke, welche die Natur erschaffen hat. Vor Millionen von Jahren wurden sie aus den Tiefen der Meere und der Erde in den Himmel emporgehoben. Gegenüber ihrer riesenhaften Größe wikren wir Menschen nur wie winzige Erscheinungen. Und das macht gerade ihre Erhabenheit aus. Auch deshalb, weil wir uns kaum vorstellen können, wie und über welche Zeiträume hinweg solche riesenhaften Körper überhaupt gebildet und hervorgebracht werden konnten.


Abschließend lässt sich zusammenfassen, dass erhabene Erscheinungen der Natur wie der unermessliche Ozean, große Berge, tosende Stürme, ein mächtiges Gewitter, tiefe Abgründe, die unendliche Weite des Universums entweder Bewunderung, Staunen und Ehrfurcht und/oder Furcht und Schrecken in uns auslösen. Sie wirken aber nur im Modus der Kontemplation erhaben. Eine wesentliche Voraussetzung dafür, den Modus der naturästhetischen Kontemplation einzunehmen, ist, dass wir uns einigermaßen in Sicherheit wähnen und nicht im Überlebenskampf mit den Gewalten der Natur.

Naturphänome wie Berge, Gewitter oder die Meere wirken gerade deshalb erhaben, weil wir uns als "ein verschwindendes [,verkleinertes] Nichts, ungeheuren Mächten gegenüber" sehen und wir bei solchen Naturphänomenen an die Grenzen unserer Verfügbarkeit stoßen, im Sinne der Vorstellungskraft, der Zugänglichkeit, der Beherrschbarkeit, der Sinnlichkeit.






 
 
 

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