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Naturästhetische Skizzen

sich entleeren

  • florianmatzke
  • 10. Feb. 2024
  • 3 Min. Lesezeit

In seinem Buch Abwesen stellt Byung-Chul Han die Philosophie des Fernen Ostens vor und setzt diese in Kontrast zum abendländischen Denken. Im Mittelpunkt steht insbesondere die buddhistische und taoistische Lehre der Leere.

Die Leere als Abwesen mache Jemand zu Niemand, wohingegen das Begehren (Appetition) einen zu Jemand mache. Am Beispiel von Leibniz zeigt er, dass die Existenz als Exigenz gedacht werde. "Der Grund des Seins ist das Wollen, das sich dann, vor allem in der Neuzeit, als Sich-Wollen ausprägt." Im Taoismus wird mit der Leere hingegen "das nicht-exigentielle Sein" zur Sprache gebracht, worauf auch die Figur des Spiegels verweise. Der leere Spiegel "begehrt nichts, hält an nichts fest. Er ist leer und abwesend. So lässt er die Dinge, die sich dort spiegeln, kommen und gehen." Er "beruht auf der Abwesenheit des Ich, das begehrt". Das fernöstliche Denken lehrt demnach "sich aufzugeben, sich zu vergessen" und sich empfänglich zu machen für "die Vergänglichkeit und Flücktigkeit des Seins". "das Verhältnis zur Welt wird nicht von der Entschlossenheit des Tuns und des Handelns, von der Helle des Bewusstseins und der Reflexion beherrscht. Vielmehr lässt man sie geschehen, in sich hineinströmen, indem man in eine Abwesenheit zurückweicht, indem man sich vergisst oder sich entleert ..."Ein Zustand der Abwesenheit sei das freundliche Schweigen. Denn im Schweigen, schweige man sich weg und werde Welt. Schweigen hebe die Differenz von Ich und Welt auf.


Eine Randnotiz: Wie ich in einem anderen Text gezeigt habe, taucht das Bild des Spiegels und die Abwesenheit des Willens auch bei dem abendländischen Denker Schopenhauer auf.


Neben dem Abwesen des Selbst, wird auch das Abwesen der Dinge und Räume thematisiert. Während Wesen Unterschied sei, bedeute Abwesen Indifferenz. Die Dinge würden "ineinander fließen", sie ließen keine "substanziale Konturierung" zu. Es gäbe nur fließende Übergänge, keine klaren Abgrenzungen. Das fernöstliche Denken versuche daher nicht, die Dinge zu fixieren und ihnen eine Wesenheit zugrunde zu legen, geschweige denn Prinzipien und Grundsätze aufzustellen. Vielmehr versucht es "das Denken ... zu ozeanisieren" und sich den Dingen "anzuschmiegen".


Sechszehn Jahre später greift Byung-Chul Han diese Gedanken wieder auf und spinnt diese in seine Überlegungen zur Kontemplation bzw. Untätigkeit ein. In seinem Buch Vita contemplativa heißt es: "Der Wille macht uns nicht selten blind gegenüber dem, was geschieht. Gerade Absichtslosigkeit und Unwillentlichkeit machen uns hellsichtig, indem sie das Geschehen, das Sein erhellen, das sowohl dem Willen als auch dem Bewusstsein vorgelagert ist." "Wer wirklich untätig ist, behauptet sich nicht. Er legt seinen Namen ab und wird Niemand. Namen- und absichtslos überlässt er sich dem, was geschieht."

An einem Haiku verdeutlicht er, wie sich das Subjekt selbst aufgibt und sich einem subjektlosen Geschehen, in diesem Fall dem Frühling, hingibt.


Friedlich dasitzen, ohne etwas zu tun,

Der Frühling kommt

Und das Gras wächst von selbst.


Dass sich das Subjekt hier preisgibt, wird mit der Untätigkeit in Verbindung gebracht. Während von der Untätigkeit eine "entsubjektivierende" Wirkung ausgehe, seien es "Tätigkeiten und Handlungen, die das Subjekt konstituieren".


Im weiteren Gedankengang kommt Byung-Chul Han wieder auf jenen Gedanken zurück, der bereits in Abwesen zur Sprache kam. Es geht um jenen Zustand, in dem die Dinge ineinander verfließen, sich "vereinigen und versöhnen" und miteinander "vermählen". Zur Exemplifizierung dieses Gedankens werden Bilder und Gespräche/Briefe des impressionistischen Malers Paul Cézanne herangezogen. Für Cézanne vermählen sich alle Dinge in der Landschaft, nichts grenze sich vom anderen ab. Der "scharfe Duft der Kiefern" vermähle sich "mit dem Geruch der Steine". Auch alle "Töne durchdringen sich, alles Formen greifen kreisend ineinander". Scharfe Kontraste und Trennungen, "in denen sich die Dinge voneinander absetzen, sind Phänomene der Oberfläche". In den "Tiefenschichten des Seins" zeige sich hingegen die Freundschaft, der Zusammenklang der Dinge. Damit aber die Dinge in ihrem Zusammenklang und Glanz erstrahlen können, habe sich der Mensch zurückzunehmen. Er solle seine Absichten, Handlungen und Urteile, durch die er die Dinge sinem Willen unterwirft, ruhen lassen bzw. zum Verschwinden bringen. Entsprechend solle auch der Maler ein Niemand werden und sich in der Landschaft verlieren. "Sein ganzes Wollen muß schweigen. Er soll in sich verstummen lassen alle Stimmen der Voreingenommenheit, vergessen, vergessen, Stille machen, ein vollkommenes Echo sein. Dann wird sich auf seiner lichtempfindlichen Platte die ganze Landschaft abbilden."







 
 
 

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